Granularsynthese für Anfänger einfach erklärt
Was ist Granularsynthese und wie funktioniert sie? Granulare Synthesizer und Effekte können beliebiges Audiomaterial in völlig neue Sounds verwandeln. Was dabei genau passiert und wie sich die verschiedenen Parameter eines Granularsynthesizers auswirken, erfährst du hier.
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Was ist Granularsynthese?
Die Granularsynthese ist eine Technik zur sogenannten Resynthese von Audiomaterial. Das bedeutet: Aus einem Audiosignal – das kann entweder ein zuvor aufgenommenes Sample oder ein in Echtzeit zugeführtes Signal sein – entsteht ein neuer Klang, der nicht mehr unbedingt etwas mit dem ursprünglichen Sound zu tun haben muss (aber je nach Einstellungen durchaus an ihn erinnern kann). Ein granularer Synthesizer bzw. Effekt ermöglicht es also, sich auf eine Entdeckungsreise zu begeben und aus einer Audiospur, einem Sample oder beispielsweise einer live gespielten Gitarre einen neuartigen, experimentellen Klang entstehen zu lassen.

Wie funktioniert die Granularsynthese?
Um das zu erreichen, werden aus dem Ausgangsmaterial viele kleine, oft nur wenige Millisekunden lange Abschnitte gewonnen und – je nach Einstellungen des Synthesizers – miteinander verwoben und zu einem neuen Klang zusammengesetzt. Diese Schnipsel werden „Grains“ (Körner) genannt und geben der Granularsynthese ihren Namen. Auf die Art und Weise, wie die Grains aus dem Originalmaterial gewonnen und wieder zusammengesetzt werden, kann man mit verschiedenen Parametern Einfluss nehmen und den entstehenden Klang somit beeinflussen.
Granulare Sounds zeichnen sich oft durch die Eigenart aus, dass sie noch entfernt an die Klangfarbe des Ausgangsmaterials erinnern, aber völlig andere Eigenschaften besitzen. Der Klang weist also beispielsweise eine abstrakte Ähnlichkeit mit einer Stimme, einem Piano oder einem anderen Audiosignal auf, das als Rohmaterial diente, verhält sich aber völlig anders. Auch deshalb ist die Granularsynthese ein beliebtes Werkzeug von Komponisten von Film- und Game-Soundtracks. Sie sprengt gewissermaßen die Grenzen unserer musikalischen Vorstellungskraft und eignet sich somit bestens für Sounds, die als unwirklich, außerirdisch oder entrückt wahrgenommen werden sollen.

Wer hat die Granularsynthese erfunden?
Erste Überlegungen zum Prinzip der Granularsynthese gab es schon lange vor dem Siegeszug der Synthesizer. Der ungarisch-britische Physiker Dennis Gábor (der später mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, allerdings für etwas anderes) erfand 1946 die Gábor-Transformation, in deren Zusammenhang er Konzepte aus der Quantenphysik auf Klänge übertrug. Das hatte damals allerdings noch einen ziemlich theoretischen Charakter – musikalisch genutzt wurde die Idee erst später.
Die erste Musik auf Basis der neuen Idee machte der Komponist Iannis Xenakis in den 1950ern. Anfangs war das noch ein extrem aufwendiges Unterfangen, bei dem Xenakis analoge Tonbänder in unzählige kleine Schnipsel zerschnitt und neu zusammensetzte. In der Anfangszeit der elektronischen Musik war also noch Handarbeit gefragt! Mit den Möglichkeiten der heutigen Digitaltechnik geht es natürlich viel komfortabler.
Ausgangsmaterial für die Granularsynthese
Zwischen verschiedenen Granularsynthesizern gibt es Unterschiede bei der Auswahl des Audio-Ausgangsmaterials. Neben einer Reihe von Presets gibt es meist die Möglichkeit, eigene Samples zu laden, um sie mit den Möglichkeiten der Granularsynthese zu verfremden. Je nach Synthesizer kann das über USB, eine SD-Karte oder andere Medien erfolgen. Das gebräuchlichste Dateiformat ist .wav; einige Synthesizer können aber auch mit anderen Formaten wie .ogg, .flac oder .aiff umgehen.
Granulare Sampler bieten darüber hinaus die Möglichkeit, Audiomaterial über die Sampling-Eingänge direkt am Gerät aufzunehmen. Danach wird die gewünschte Audiodatei in den Granular-Oszillator bzw. Granulator geladen und kann dann als Basis für die Granularsynthese genutzt werden.

Welche Parameter bietet ein Granularsynthesizer?
Je nach Synthesizer können sich die verfügbaren Syntheseparameter unterscheiden. Es gibt jedoch eine Reihe von Einstellungen, die man bei fast jedem granularen Synthesizer findet. Sie bestimmen, wie Grains aus dem Ausgangsmaterial extrahiert und neu zusammengefügt werden.
- Grain-Größe (Grain Size): Bestimmt die Länge der einzelnen Grains, die üblicherweise in einem Bereich von ca. 10 bis 50 Millisekunden liegt. Einige Granularsynthesizer erlauben auch deutlich längere Grains. Je länger die Grains, desto stärker scheint der Klangcharakter des Originalsounds im entstehenden Klang durch.
- Grain-Dichte (Grain Density): Bestimmt die Anzahl der Grains pro Sekunde. Bei niedrigen Einstellungen entstehen abstrakte, fragmentierte Sounds. Bei höheren Werten beginnen sich Grains zu überlappen (vor allem bei längeren Grains).
- Pitch: Der Wert, um den die Grains nach unten oder oben transponiert werden. Oft gibt es zusätzlich einen Detune-Parameter für eine zufällige Tonhöhenverschiebung in einem einstellbaren Bereich.
- Position / Range / Window / Spray / Scan / Jitter / Travel etc.: Die meisten Granularsynthesizer bieten darüber hinaus die Möglichkeit, die Position und den Bereich innerhalb des Originalsamples zu definieren, aus dem die Grains gewonnen werden. Die dazugehörigen Parameter können je nach Synthesizer unterschiedlich benannt sein.
- Attack / Decay: Bei vielen Granularsynthesizern findet man eine Hüllkurve, die sich auf die einzelnen Grains auswirkt. Sie ist nicht zu verwechseln mit der, die den Lautstärkeverlauf des entstehenden Gesamtklangs regelt.
Neben diesen Standardparametern können Granularsynthesizer noch weitere Einstellmöglichkeiten bieten. In jedem Fall sollte man sich die Bedienungsanleitung gut durchlesen, denn die Bezeichnungen sind nicht immer eindeutig. Derselbe Parameter kann sich bei verschiedenen Synthesizern unterschiedlich auswirken.
Modulation in der Granularsynthese
Wie bei allen Syntheseformen entstehen die interessantesten Klänge, wenn die Parameter der Granularsynthese moduliert werden. Dafür bieten die meisten Granularsynthesizer die üblichen Modulatoren wie LFOs, Hüllkurven, das Modulationsrad oder integrierte Sequencer. So kann man beispielsweise die Position innerhalb des Original-Samples, die Grain-Dichte oder die Grain-Größe modulieren, was sehr spannende Klangverläufe ergeben kann.

Granulare Effekte
Neben Granularsynthesizern gibt es granulare Effekte als Software oder (seltener) Hardware, letztere meist im Bodentreter-Format. Sie bieten oft eine ähnliche Ausstattung mit Parametern; auch hier findet man meist Einstellmöglichkeiten für die Grain-Größe, -Dichte -Stimmung und mehr.
Der entscheidende Unterschied ist, dass granulare Effekte ein in Echtzeit zugeführtes Signal verarbeiten statt eines statischen, zuvor geladenen Samples. Man kann sie also direkt auf eine Audiospur in der DAW oder beispielsweise auf eine live gespielte Gitarre anwenden.
Je nachdem, wie die Grains gewonnen, zusammengefügt und mit dem Originalsignal gemischt werden, können granulare Effekte ganz unterschiedlich klingen. Das reicht von chorusartigen Sounds über interessante Reverbs bis hin zu sehr speziellen Effekten, die kaum noch etwas mit dem Originalsignal zu tun haben.
Granularsynthesizer (Hardware, Auswahl)
Tasty Chips GR-1 und GR-Mega

Der GR-1 des niederländischen Herstellers Tasty Chips ist ein granularer Desktop-Synthesizer mit vielen Möglichkeiten, einem großen Display und übersichtlicher Bedienung. Noch eine ordentliche Schippe drauf legt der vierfach multitimbrale GR-Mega, der zusätzlich über Funktionen wie Spektral-Synthese, granulares Slicing und einen Tape-Scratch-Modus verfügt.
Der GR-1 ist auf der Website des Herstellers für 849,- € erhältlich. Den GR-Mega könnt ihr gegen eine Anzahlung von 605,- € vorbestellen; der Rest der Gesamtsumme von 1.500,- € zzgl. MwSt. wird dann bei Auslieferung fällig.
Polyend Tracker+ und Tracker Mini: Grooveboxen mit granularem Sampling

Die beiden Grooveboxen Tracker+ und Tracker Mini von Polyend verbinden einen granularen Sampler mit verschiedenen anderen Syntheseverfahren und einem außergewöhnlichen Sequencer im Tracker-Stil.
Waldorf Iridium
Seitdem der Quantum 2 eingestellt wurde, ist der Iridium das unangefochtene Synthesizer-Flaggschiff von Waldorf. Neben granularer Synthese beherrscht er noch verschiedene andere Syntheseformen wie Wavetables und virtuell-analoge Synthese. Der Iridium Core ist eine kompakte Variante mit identischer Engine, aber etwas reduzierter Polyphonie und weniger Bedienelementen.
Sonicware LIVEN Texture Lab
Das LIVEN Texture Lab ist ein granularer Sampler und Effektprozessor mit integriertem Sequencer. Über dezidierte Potis sind die Parameter der Granularsynthese in direktem Zugriff.
Torso Electronics S-4 Sculpting Sampler
Beim S-4 von Torso Electronics dreht sich alles um das kreative Verbiegen von Samples. Dazu gehört auch ein Echtzeit-Granularprozessor, der dank verschiedener Modulatoren (komplexe LFOs, generative Sequencer, Hüllkurvengeneratoren) viele kreative Möglichkeiten bietet. Der Workflow orientiert sich an Vierspur-Tonbandgeräten.
1010music nanobox lemondrop
Die quietschgelbe nanobox lemondrop von 1010music passt in die Jackentasche, enthält aber einen ausgewachsenen Granularsynthesizer mit erstaunlich vielen Möglichkeiten. Mehr dazu in unserem Angecheckt.
Beetlecrab Tempera

Tempera ist ein „granularer Spielplatz“ mit einem einzigartigen Konzept. Mit den Fingern steuert man auf dem Touch-Feld („Canvas“) in Echtzeit mehrere sogenannte Emitter, die Grains aus bis zu acht Samples gleichzeitig abspielen. So bietet Tempera eine völlig neue Art des Performens mit Samples. Auch als granulares Effektgerät lässt Tempera sich einsetzen. Mehr dazu in unserem Angecheckt.
Eurorack-Module mit Granularsynthese (Auswahl)
Intellijel Multigrain
Multigrain ist ein granularer Stereo-Sampler mit acht gleichzeitig nutzbaren Parts. Über drei zuweisbare CV-Eingänge lassen sich viele Aspekte der Granularsynthese per CV steuern.
Behringer Skies
Als Nachbau von Mutable Instruments Clouds bietet Behringer Skies granulare Synthese mit reichlich Optionen zur CV-Steuerung. Auch als Delay, Looper und spektraler Prozessor lässt sich das Modul nutzen.
ADDAC 112 VC
Das aus zwei Komponenten bestehende System ADDAC 112 VC verbindet granulare Synthese mit Echtzeit-Looping. So gut wie alles ist per CV steuerbar. Wer ausgedehnte granulare Performances machen möchte, ist hier richtig.
Klavis Grainity
Das Eurorack-Modul Grainity von Klavis bietet keine Granularsynthese im eigentlichen Sinne, sondern überträgt einige ihrer Konzepte auf ein analoges Filter.
Granulare Software-Synthesizer und Effekt-Plugins (Auswahl)
Arturia Efx Fragments
Efx Fragments von Arturia ist ein granularer Effektprozessor, der mit drei Modi (Classic, Rhythmic, Texture) und umfassenden Modulationsmöglichkeiten viele kreative Möglichkeiten bietet. Efx Fragments ist Teil der Arturia FX Collection 5, aber auch einzeln erhältlich.
Arturia Pigments
Als einer der vielseitigsten Software-Synthesizer überhaupt bietet Arturia Pigments neben verschiedenen anderen Syntheseverfahren natürlich auch Granularsynthese.

Imaginando FRMS
FRMS kombiniert Granularsynthese mit FM und subtraktiver Synthese. Mit vier Layers, acht FM-Modi und einer umfangreichen Modulationsmatrix bietet der Software-Synthesizer jede Menge Stoff für kreatives Sounddesign.

Output Portal
Portal ist ein Effekt-Plugin, das aus dem Ausgangsmaterial vielschichtige, granulare Klangwelten entstehen lässt.
Sugar Bytes Graindad
Graindad eignet sich mit einer umfassenden Parameterausstattung, zusätzlichen Effekten wie Filtern, Reverb und Chorus, vielen Modulationsmöglichkeiten und integrierten Sequencern sowohl für ausgefeilte Sounddesign-Aufgaben als auch für inspirierende, rhythmische Effekte.
Reason Grain
Seit der Version 10 enthält Reason mit Grain einen umfassend ausgestatteten Granularsynthesizer mit weitreichenden Möglichkeiten.
Mehr zu verschiedenen Syntheseformen
- Subtraktive Synthese für Anfänger einfach erklärt
- FM-Synthese für Anfänger einfach erklärt
- Wavetable-Synthese für Anfänger einfach erklärt
Videos zur Granularsynthese
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2 Antworten zu “Granularsynthese für Anfänger einfach erklärt”
Guter Artikel!
Vielleicht eine kleine Erweiterung zu „oder beispielsweise einer live gespielten Gitarre einen neuartigen, experimentellen Klang entstehen zu lassen.“ Da könnte man doch den neuen Walrus Audio Fable Granular Soundscape Generator mit in die Hardware Auswahl nehmen oder? Der passt besser aufs Pedalboard ;)
Vielleicht solltet Ihr erwähnen, dass After Later Audio Monsoon ein (erweiterter) Clone von Mutable Instruments Clouds ist. Dessen Nachfolger Beads sollte in der Auflistung auch nicht fehlen.