Arturia PolyBrute 12: Angecheckt – das neue Flaggschiff im Test
Der Arturia PolyBrute 12 ist da! Mit dem neuen Flaggschiff möchte der Hersteller völlig neu definieren, welche Ausdrucksmöglichkeiten mit analoger Synthese möglich sind. Mit sechs zusätzlichen Stimmen und einer genialen neuen Tastaturmechanik könnte der PolyBrute 12 zum Klassiker werden.
Hinweis: Dieser Test von Rob Purricelli erschien zuerst in englischer Sprache auf gearnews.com. Übersetzung: Lasse Eilers
Anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums zündet Arturia in diesem Jahr ein wahres Feuerwerk an Neuheiten. Die Feierlichkeiten begannen mit dem Astrolab, einem Stage-Keyboard mit einem neuartigen Ansatz, der die Grenzen zwischen Hardware und Software verschwimmen lässt. Das perfekte Jubiläumsinstrument, könnte man meinen.
Doch das war erst der Anfang. Denn heute präsentiert Arturia den PolyBrute 12.
Arturia PolyBrute 12: Das Wichtigste in Kürze
- 12 Stimmen Polyphonie
- MPE-Tastatur mit FullTouch-Technologie
- Zwei Brute-Oszillatoren pro Stimme
- Duale Filter (12 dB/Okt. Steiner-Parker und 24 dB/Okt. Ladder)
- Drei vielseitige, umfassend konfigurierbare LFOs
- Modulationsmatrix mit 64 Punkten
- Polyphoner Step-Sequencer mit Motion Recording
- Multimode-Arpeggiator
Erfolgreiche Basis
Dreieinhalb Jahre ist es jetzt her, dass Arturia den PolyBrute vorstellte. Damals sorgte der Synthesizer aus verschiedenen Gründen für Schlagzeilen. Erstens war er Arturias erster „großer“ polyphoner Synthesizer. Zweitens bot er einzigartige Expression-Controller. Die zahlreichen Scherze über die vermeintliche Smartphone-Halterung höre ich noch heute!
Für viele war aber der Sound der Brute-Oszillatoren ausschlaggebend. Die Meinungen gingen dabei weit auseinander: Manche liebten, andere hassten sie. Es scheint aber so, als ob sich die meisten Kritiker im Laufe der Zeit daran gewöhnt hätten. Denn inzwischen konnte sich der PolyBrute als leistungsstarkes, elegantes und inspirierendes Instrument etablieren.
Welche Neuerungen bringt nun also der PolyBrute 12? Diese Frage ist überraschend einfach zu beantworten: Sechs Stimmen mehr, eine neue Tastaturmechanik und ein größeres Gehäuse. Auf dem Papier klingt das vielleicht nicht so, als ob der Synthesizer den Aufpreis von 1000 € wert wäre. Soviel vorweg: Das ist er auf jeden Fall!
Der PolyBrute 12 ist vollständig zum ursprünglichen PolyBrute abwärtskompatibel. Alle Sounds, die auf dem Original erstellt wurden, funktionieren auch auf dem PolyBrute 12 – allerdings mit mehr Stimmen und einem geringeren Risiko, dass Stimmen abgeschnitten werden. Nicht, dass mich das beim PolyBrute in der Praxis je gestört hätte.
Arturia PolyBrute 12: Äußerlichkeiten
Auch das Bedienfeld ist zu 99 % identisch. Es gibt einen neuen Auswahltaster für die Tastaturmodi (dazu später mehr). Um dafür Platz zu schaffen, musste der Glide-Regler seine Position oberhalb des Morph-Reglers räumen und befindet sich nun links davon. Und dann ist da natürlich die Farbe.
Offenbar mögen es die Designer bei Arturia in diesem Jahr leicht, hell und rein. Der PolyBrute 12 präsentiert sich in einer Farbe, die ich „Eierschale“ oder „Krankenhausbeige“ nennen würde. Ein bisschen erinnert der Farbton an den Fairlight CMI. Zusammen mit den hölzernen Seitenteilen (oder ist das Bakelit?!) passt der Look aber schon.
Eine weitere, subtile Anpassung betrifft die Farben, die für die Regler der beiden Filter gewählt wurden. Beim Original waren die jeweiligen Sektionen farblich hervorgehoben: Orange für das Steiner-Parker-Filter und Grün für das Ladder-Filter. Im Mixer, wo sich das gewünschte Filter den VCOs oder dem Rauschgenerator zuweisen lässt, waren die entsprechenden Optionen durch LEDs mit grünen bzw. orangen Ringen gekennzeichnet. Beim PolyBrute 12 sind hingegen die Filterregler selbst in brauner bzw. grüner Farbe gehalten.
Gehäuse mit Kamineffekt
Der andere, sofort sichtbare Unterschied ist die Größe. Jeder, der schon einmal einen PolyBrute aufgeschraubt hat, weiß, warum der Synthesizer nur sechs Stimmen bietet. Viel Platz bleibt im Gehäuse nicht. Um sechs weitere Voice-Cards unterzubringen, musste der Synthesizer also wachsen. Der PolyBrute 12 ist nicht nur höher, sondern auch tiefer als die sechsstimmige Variante.
Nicht zu übersehen sind außerdem die fünf großen Lüftungsöffnungen auf der Gehäuseoberseite. Sie sind Teil eines Kühlsystems, das sich den Kamineffekt zunutze macht. Bei diesem System tritt die Luft an der Gehäuseunterseite ein, kommt oben wieder heraus und nimmt dabei die Wärme mit. Das bedeutet, dass der PolyBrute 12 ohne Lüfter auskommt, was natürlich sehr zu begrüßen ist.
Der PolyBrute 12 macht deutlich, warum die polyphonen Analogsynthesizer der Vergangenheit immer so groß waren. Wer analoge Synthese mit zweistelligen Stimmenzahlen möchte, muss sich mit den opulenten Abmessungen arrangieren. Der PolyBrute 12 ist zwar nicht übertrieben riesig, aber doch so groß, dass nicht wenige gezwungen sein werden, einige räumliche Anpassungen im Studio vorzunehmen.
Arturia PolyBrute 12: FullTouch-Tastatur
Wohl die wichtigste Neuerung des PolyBrute 12 ist die Tastaturmechanik. Spätestens seit dem ASM Hydrasynth ist polyphoner Aftertouch endlich im Mainstream angekommen. Jahrzehntelang wurde die Technik von den Herstellern gemieden – jetzt möchten sie plötzlich alle haben. Arturia hätte natürlich einfach ein System eines Drittanbieters lizenzieren können, wie etwa Korg, deren KeyStage die gleiche Medeli-Tastatur wie der Hydrasynth besitzt, oder Waldorf, die Mechaniken von Fatar verbauen.
Doch Arturia entschied sich dafür, einen Schritt weiterzugehen – möglicherweise inspiriert vom Expressive E Osmose? FullTouch geht über traditionellen Channel- und Poly-Aftertouch hinaus und bietet etwas, was man bei einem solchen Instrument noch nicht gesehen hat. Der PolyBrute 12 bietet drei Aftertouch-Modi, als da wären:
- Mono
- Poly
- Alt
Die ersten beiden erklären sich von selbst und verhalten sich wie erwartet. Interessant wird es beim Alt-Modus. Wählt man ihn aus, hat man drei Optionen:
- FullTouch Env > AT
- FullTouch AT
- FullTouch AT > Z
Alle drei Varianten bedürfen einer Erklärung. Zunächst gilt für alle Alt-Modi, dass der Trigger-Punkt für Noten viel höher liegt. Sobald die Taste aus der Ruhestellung auch nur leicht nach unten bewegt wird, erklingt die Note.
FullTouch ENV > AT
Dies ist wahrscheinlich der eindrucksvollste der drei Modi und der, mit dem man sich gleich zu Anfang stundenlang beschäftigen kann. Spielt man eine Taste, werden die Hüllkurven getriggert (Attack) und durchlaufen dann typischerweise die Decay- und Sustain-Phasen, bis man die Taste loslässt. Dann beginnt die Release-Phase. So weit, so normal.
FullTouch ENV > AT erlaubt es nun jedoch, die einzelnen Phasen der Hüllkurve mit den Fingern zu steuern. Bei einer kurzen Attack-Zeit entspricht diese Phase der Hüllkurve einem leichten Herunterdrücken der Tasten. Bei einer längeren Attack-Zeit muss die Taste tiefer gedrückt werden, damit sie komplett durchlaufen wird.
Decay funktioniert im Grunde genau andersherum. Die Decay-Phase folgt der Geschwindigkeit, mit der man die Taste wieder nach oben kommen lässt. Das Release-Verhalten ist hingegen wie bei einer normalen Tastatur.
Spaß mit FullTouch
Wirklich Spaß beginnt es zu machen, wenn man mit den Velocity-Einstellungen der Amp- und Filterhüllkurven experimentiert. Bei höheren Einstellungen wird der Klang umso perkussiver, umso härter man anschlägt. Sanftes Spiel führt hingegen zu einem weicheren Hüllkurvenverlauf.
Eines des besten Beispiele ist ein Sound namens „Plucked Plouc“. Bei starkem Anschlag ähnelt der Sound einem chinesischen Yangqin. Mit normalem Aftertouch lässt sich dem Klang lediglich etwas Vibrato hinzufügen. Mit FullTouch ENV > AT kann man hingegen nahtlos zwischen dem perkussiven Sound und einem weichen, bogenartigen Klang wechseln – einfach indem man den Anschlag variiert.
In diesem Modus kann man jeden Sound also auf verschiedene Weisen expressiv beeinflussen, indem man die Hüllkurvenverläufe mit den Fingern steuert. Zusammen mit den ohnehin schon existierenden Features wie der Morph-Funktion führt das dazu, dass ein einziger Sound eine Vielzahl von Facetten haben kann, die sich durch die Spielweise ausdrucksstark steuern lassen. Alles natürlich in Echtzeit und mit den gewohnten Möglichkeiten der subtraktiven Synthese.
FullTouch AT
Dies ist der einfachste Modus. Anders als auf einer herkömmlichen Tastatur, bei der man die Taste zunächst anschlägt und dann darauf drückt, um den dem Aftertouch zugewiesenen Effekt zu erzielen, wird hier die Noten schon in dem Moment ausgelöst, in dem die Taste sich zu bewegen beginnt. Der polyphone Aftertouch-Effekt wird umso intensiver, umso tiefer die Taste heruntergedrückt wird.
FullTouch AT > Z
Dieser Modus nutzt die konventionelle Aftertouch-Zone im Tastenbett. Das Verhalten entspricht zunächst dem Modus FullTouch AT. Sobald die Taste das Tastenbett erreicht und weiter hinunter gedrückt wird, wird jedoch zusätzlich die Funktion ausgeführt, die der Z-Ebene des Morphée-Controllers zugewiesen ist. Auch das natürlich polyphon.
PolyBrute 12: Natürlicher als Osmose?
Dass sich diese Tastatur sofort mit dem Osmose wird messen lassen müssen, ist offensichtlich und unvermeidlich. Ich habe beide gespielt und das in fünf Dimensionen spielbare Osmose ist grandios. Was Arturias Version davon abhebt, ist, dass sie sich kaum von einer herkömmlichen Tastatur unterscheidet. Lediglich die Art und Weise, wie Klänge und Funktionen durch die Bewegungen der Taste getriggert und gesteuert werden, ist anders.
Außerdem fällt auf, dass die Tasten länger sind und der Lagerpunkt tiefer im Gehäuseinneren liegt als bei einer normalen Synthesizer-Tastatur. Es erinnert eher an eine Hammermechanik mit längeren Tasten, obwohl die Tasten des PolyBrute 12 leicht gewichtet sind. Allerdings werden die Tastenbewegungen dadurch weicher und das Spielgefühl angenehmer. Es ist beeindruckend.
Wegen dieser Tastatur ist der PolyBrute 12 MPE-kompatibel und sendet und empfängt MPE-Daten. Da verschiedene Hersteller MPE unterschiedlich implementieren, kommen die Möglichkeiten hier auf die jeweils verwendeten Geräte an.
PolyBrute 12 in der Praxis
Wenn du wie ich ein erfahrener PolyBrute-Nutzer bist, wirst du dich auf dem PolyBrute 12 sofort zu Hause fühlen. Alles sieht genauso aus und ist an der gleichen Stelle zu finden. Aber du wirst sofort anfangen, die verschiedenen Keyboard-Modi auszuprobieren. Nachdem du die 100 neuen Patches angetestet hast, wirst du deine alten Sounds in den neuen Synthesizer importieren und gespannt sein, wie sie nun klingen.
Wegen des Höhenunterschieds wirst du vielleicht feststellen, dass du deinen Keyboardständer oder deine Sitzposition anpassen musst. Die Größe hat aber auch einen Vorteil: Sie vermittelt das Gefühl, ein qualitativ hochwertiges Instrument vor sich zu haben. Es ist eine große Maschine in der Tradition berühmter Vintage-Synthesizer.
Diese Balance aus Spielbarkeit, Ausdruck und Direktheit ist alles, was man sich von einem polyphonen Analogsynthesizer wünschen könnte. Alles, was du tust, beeinflusst den Klang. Jede Performance wird zu 100 % deine sein. Der Arturia PolyBrute 12 ist jetzt schon ein Klassiker. Das letzte Mal, dass ich mich so in ein Instrument verliebt habe, war beim Vorgänger.
Ich habe mich etwas schwer damit getan, diesem Synthesizer komplett objektiv zu begegnen, einfach weil ich schon ein PolyBrute-Nutzer bin. Ich war schon vorher ein großer Fan der Synthesearchitektur und Bedienoberfläche. Wenn du noch nie einen PolyBrute gespielt hast, mach dich auf etwas gefasst. Die Bedienung ist logisch und intuitiv. Die Matrix ist extrem leistungsfähig, genauso wie die vielen Performance-Funktionen.
PolyBrute Connect
Wie auch der Vorgänger kommt der PolyBrute 12 mit PolyBrute Connect, einer perfekt umgesetzten Software, die es ermöglicht, den Synthesizer vom Computer aus zu programmieren, zu verwalten und zu steuern. Die neue Version dieser Software ist vom Design her nun näher an die Instrumente der V Collection herangerückt.
PolyBrute Connect ermöglicht die Steuerung aller Funktionen des PolyBrute und läuft als Plugin in der DAW deiner Wahl. Somit lässt sich der Synthesizer wie ein Software-Synthesizer nutzen – mit allen Vorteilen, die das mit sich bringt.
Fazit zum Arturia PolyBrute 12
Als Musiktechnologie-Journalist hat man, wenn man Glück hat, ab und zu die Gelegenheit, ein Instrument vom Kaliber des PolyBrute 12 zu testen. Wenn das passiert, ist es etwas Besonderes. Ich glaube wirklich, dass der Arturia PolyBrute 12 der natürlichste Nachfolger des Yamaha CS-80 ist. Eine gewagte Behauptung. Ich will versuchen zu erklären, warum ich das denke.
Der CS-80 wird nicht nur wegen seines Sounds so geschätzt, sondern auch wegen seiner expressiven Steuerung. Ohne seinen polyphonen Aftertouch, die Holztasten mit Hammermechanik und den Ribbon-Controller wäre der CS-80 möglicherweise einfach ein Polysynth unter Vielen gewesen. Ohne Effekte kann er sogar etwas dünn klingen.
Der PolyBrute 12 ist dem CS-80 in dieser Hinsicht nicht nur ebenbürtig, sondern übertrifft ihn sogar. Der geniale Tastaturmechanismus bietet drei verschiedene Modi zur expressiven Steuerung, die weit über Velocity und Aftertouch hinausgehen. Die Möglichkeiten der Ribbon- und Morphée-Controller werden hierdurch nochmals deutlich übertroffen. Das Patch-Morphing ist zwar nicht neu – zusammen mit diesen neuen Möglichkeiten eröffnen sich aber auch hier neue Welten.
Ein neuer Anfang
Der Arturia PolyBrute 12 ist eine Zäsur. Eine Linie im Sand, könnte man sagen. Wie alle anderen Synthesizer-Meilensteine (Minimoog, CS-80, DX7, Prophecy) ist er mehr als die Summe seiner Teile. Er ist ein Musikinstrument im besten Sinn des Wortes.
Zum ersten Mal seit dem CS-80 wirst du mit dem PolyBrute 12 komplett verschmelzen. Manche werden die Tastatur mit dem Osmose vergleichen, und das ist in Ordnung. So genial Osmose auch ist, ist es aber vielleicht etwas zu speziell. Viele verlieren sich in den weitreichenden Möglichkeiten der Engine. Das wird dir beim PolyBrute 12 nicht passieren.
Die Direktheit, die Verbindung und die Performance machen ihn, meiner Meinung nach, zu einem der großartigsten polyphonen Analogsynthesizer aller Zeiten.
Preis und Verfügbarkeit
Der Arturia PolyBrute 12 ist ab sofort bei Thomann* für 3.999,- € bestellbar.
Arturia PolyBrute 12: Pro und Contra
Pro
- FullTouch-Tastatur
- PolyBrute-Engine
- 12 Stimmen
- Ausdrucksmöglichkeiten
- Modulationsmatrix
- PolyBrute Connect Software
Contra
- Er ist groß! Du brauchst vielleicht einen größeren Keyboardständer oder Tisch.
- Er ist schwer! Die Chancen, ihn unbemerkt ins Haus zu schmuggeln, sind sehr gering …
- Mehr zuweisbare Audioausgänge und mehr CV/Gate-Anschlüsse wären schön.
Mehr Infos zum Arturia PolyBrute 12
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