von claudius | Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
perfektion gearnews teaser kolumne

Weg damit!  ·  Quelle: Gearnews, Claudius

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Und schon wieder hasse ich meine Gedanken. Ich bin regelrecht genervt von mir. Die Welt ist voller genialem Equipment und das ist, vor allem dank authentischem Modeling, mittlerweile so gut, dass eigentlich keine Wünsche offen sind. Und trotzdem ertappe ich mich nach kurzer Zeit wieder beim alten, nicht so perfekten Kram und der „heiße Scheiß“ steht in der Ecke oder geht zurück zum Händler. Ist das normal? Eine Selbstanalyse.

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„Perfektion“

Ich denke anders als der Wissenschaftler, der eine gerade regenerierte und flüchtende Milla Jovovitch durch die zuvor intakte Wand hat springen sehen. Klar will ich, dass mein Equipment perfekt ist. Wer will das nicht?! Aber dann habe ich das perfekte Equipment und direkt bin ich unzufrieden. Das nervt! Alles klappt, alles geht so wie es soll, man muss nicht damit arbeiten. Langweile ich mich damit?

Das fing bei einer Gitarre an. Es war der quasi perfekte Mix aus Telecaster und Les Paul, gepaart mit einer Verarbeitung, die ich so selbst beim fünffachen des Preises nie wieder erlebt habe. Nach nur 2 Wochen war ich wieder bei meiner Jazzmaster angekommen. Damit muss ich arbeiten, bis der Sound wie gewünscht wird. Klirrende Bridge, rasselnde Saiten, labberiges Tremolosystem. Genau mein Ding, damit zu hantieren. Aber nur in der Realität – in Gedanken will ich nicht mehr Aufwand als nötig.

Das Gleiche ist auf meiner Reise durch die Basswelt passiert, wobei ich da bei einem ganz simplen Modell gelandet bin: dem Precision. Der kann einfach alles und könnte simpler nicht aufgebaut sein. Aber man muss eben ein wenig damit arbeiten, damit man zum Ziel kommt. Davor führte mich die Reise bis in die 2000 Euro Gefilde, aber geblieben bin ich bei keinem. Nur das Loch im Geldbeutel bleibt beim Wiederverkauf als fade Erinnerung übrig.

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Dann ging es mit Modeling weiter. Amps, Effekte, ganze Pedalboards in einem Mini-Computer als Effektgerät – alles geht mittlerweile ohne Probleme für jeden. Und die klingen echt gut. Ich konnte es davor selbst nicht glauben. Alle Effekte und Amps dieser Welt auf Knopfdruck in einem Kasten. Wow! Vielleicht kostet es anfangs etwas mehr, aber dann ist man ewig glücklich, weil man nie wieder etwas Neues kaufen muss.

Pustekuchen. Nach 1-10 Wochen bin ich wieder bei Plexi, SVT und Big Muff angekommen. Meine drei All-Time-Favs. Mit all ihren Nachteilen. Damit habe ich aber nur „einen“ Sound. Allerdings auch DEN Sound, den ich mir über die Jahre angeeignet habe und so lange gesucht habe. Dabei kann ich bleiben. Damit mache ich Musik. Ich als Hobbymusiker brauche diese Vielfalt überhaupt nicht. Nice to have, aber, mal so mit Hand aufs Herz, ich brauche es einfach nicht. Oder will ich es nicht brauchen?

Alles geht

Kemper, Fractal Audio, Line6, Mod Devices, Positive Grid, IK Multimedia und Co. – all die Firmen haben richtig tolle Sachen im Angebot. Geliehen im Studio oder auf der Bühne würde ich dir jederzeit spielen, wenn ich auf dem Trockenen sitze. Aber so? Irgendwie langweilt mich all die Perfektion. In jedem Belang des Lebens. Aber beim Equipment fällt es mir immer wieder auf. Deswegen bin ich auch ein Freund von direkt aufnehmen – Band, Mischpult, Effekt-Rack, Band. Oder sonstiges Medium.

Da frage ich mich aber immer wieder: Bin ich der einzige Musiker, der so denkt? Im Internet sind alle hin und weg von der Perfektion der oben genannten Hersteller. Ohne Frage: Finde ich klasse. Aber auf der anderen Seite hat mir noch keiner gesagt: So geht’s mir auch!

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13 Antworten zu “Ich will keine Perfektion mehr!”

    spuni sagt:
    0

    Also ich bin bei heutigen standards kein „richtiger Musiker“ da ich hauptsächlich den Rechner benutze aber ich kann manches von was du schreibst relativ gut nachvollziehen. Mir geht es manchmal ähnlich auch wenn ich auch die neue generation von Geräten und-oder Effekten mag und nutze. Mich langweilen sehr oft „hyper sauber-perfekt produzierte“ Musik stücke denn was oft passiert ist das viel spontanes im Namen der „Perfektion “ verloren geht und auch vom übermäßigen „putzen und polieren“ klingt es manchmal wie wenn jemand zu leidenschaftlich einen Zahnstocher benutzt und am ende statt saubere zähne , eher Lücken zwischen diesen Schaft. Auf der anderen Seite mag ich dan doch manch neues „Monstrum von high tech Vst“ und seine Möglichkeiten. Schmutzig kann ich es nämlich immer kriegen. Bloß in die andere Richtung, richtig sauber kriegt man manche Sachen nie. Es ist für mich eher ein balance ding. Ich brauche nicht Jedes! neue ding aber ein paar sind schon schön zu benutzen und ich finde auch nicht immer das Alt= Schmutzig und mit Charakter sondern manchmal einfach nur Sehr schmutzig und andere male mit Charakter. Irgendwie wie überall gilt was Yoda sagte „Gleichgewicht das wichtigste ist. Liebe man haben sollte zur Musik und weniger zum Equipment“

    Donald sagt:
    0

    Perfektion in der Kunst, oder bei Technik ?
    Der Artikel erinnert mich irgendwie an das GAS Thema letztens auf Amazona.
    Denn ich bin froh, wenn ich mal einen Song schaffe fehlerfrei zu bauen.
    Ich habe auch nur ein Notebook mit ner Handvoll Plugins.
    Leider kommt die Kunst zur Zeit viel zu kurz bei mir,
    weswegen ich froh wäre, mal nen Track auf die Reihe zu kriegen.
    Egal ob fehlerfrei oder nicht.

    Xelif sagt:
    0

    Interessanter Post! Mir geht es da ähnlich. Erst kürzlich hab ich mich dazu entschieden, wieder mehr handgemachte Musik zu hören und zu machen. Weg vom programmierten 4-to-the-floor Chart-House..

    Und gestern ist mir aufgefallen, wie mega viele Plugins ich eigentlich besitze (nachdem ich mir wieder ein neues gekauft hatte – hab dann als Ausgleich ein altes deinstalliert).

    Auch das mit der Gitarre kann ich nachvollziehen. Seit ca. 1,5 Jahren muss ich zwecks Wohnsituation auf meinen Amp verzichten und Software nutzen. Das Ergebnis: Ich schraube entweder gar nicht oder ewig rum.
    Mit dem Amp war es (wie du sagst) der EINE Sound, den ich über Jahre perfektioniert hatte und der ja auch irgendwie dann MEIN Sound war. Das fehlt mir schon sehr.

    Jedenfalls denke ich auch, lieber wenige richtig gute Sachen haben. Und gut bedeutet nicht teuer, sondern für einen passend. Und bzgl. der Vielzahl an Plugins muss man es vllt genauso machen wie beim Frühjahrsputz. Alles, was ein halbes oder ganzes Jahr nicht genutzt wurde, fliegt raus (das erleichternde hierbei ist ja, dass man es theoretisch jederzeit auch wieder zurückholen/installieren kann – also verliert man mit dieser Methode nichts).

    aven sagt:
    0

    Deine Meinung kann ich verstehen.
    Ich habe auch vor einiger Zeit „aufgegeben“ nach Perfektion zu streben. Bin einfach nicht gut genug um den perfekten Song oder dem perfekten Sound hinzubekommen.
    Daher mach ich mein Ding so gut ich es kann und will. Ist für mich ein Hobby und ich werde mich da nicht unter Stress setzten.

    H.D. sagt:
    0

    Mein Reden seit jahren. Wir sind in der Minderzahl aber du bist nicht allein. Pet pet. ;)

    Sam sagt:
    0

    Mir gehts ganz genau wie dir… hab auch diverse tolle Errungenschaften dieser Zeit durch und bin wieder zurück beim 5e3, Tele und ein paar einfachen Tretern inklusive aller dazugehörigen vermeintlichen Unzulänglichkeiten, Ecken und Kanten.
    Übrigens: mein absoluter Kurator in dieser Angelegenheit ist der unglaublich authentische Johan Segeborn. Wenn ich mit Hitech-Equipment und perfektionistischem Herangehen unglücklich bin, höre ich mir ein, zwei Videos von ihm an und weiß wieder wofür mein Musiker-Herz schlägt ;)

    ToH sagt:
    0

    Weiß nicht, ob ich das so 100% querschreiben möchte – warum soll ich freiwillig mit einer klappernden Klampfe kämpfen, wenn ich eine gut eingestellte, gut klingende spielen kann, bei der mir nicht die Technik im Weg steht, sondern meine musikalischen Ideen im Vordergrund stehen. Natürlich, wenn das „perfekte“ Brett einen nicht inspiriert, dann ist das auch blöd, aber da ist jeder Saitenquäler anders. Ich brauche keine 5.000-Euro-Custom-Shop PRS, um meine Ideen auszudrücken, aber als ich meine erste gut eingestellte American Strat in den Fingern hatte, hat mich das (für mich damals) „perfekte“ Spielgefühl eher beflügelt als gehemmt…

    Genauso ging es mir bei meinem ersten Auftritt auf einem frisch gestimmten, wunderbar instandgehaltenen Steinway-Flügel (bin hauptsächlich Tastenmensch) – dass ich jede Nuance meines Anschlags in einer nie vorher gehörten Präzision um die Ohren bekommen habe, hat mich gleichermaßen euphorisiert und verängstigt.

    Was ich aber schon voll und ganz teile, ist der Wunsch nach Vereinfachung und dem „vertrauten Besteck“. Ich brauche keine 100 verschiedenen Flügel-Plugins (obwohl ich da eine Menge ganz tolle im Bestand habe). Mehr und mehr reduziere ich mich auf ein einziges, das mir einfach „passt“ und mit dem ich mich wohlfühle. Gleiches gilt bei meinem Lieblings-Amp (sorry, ein virtueller – S-Gear ist einfach der Hammer…) – ich lasse die anderen Plugins weitgehend liegen, außer ich brauche mal in einer Produktion einen speziellen Sound, den ich mit S-Gear nicht hinbekomme. Ähnliches gilt für die zig virtuell-analogen Synths (Soft- UND Hardware!), die man an allen Ecken bekommen kann – ich habe mir 2 ausgesucht, die ich jetzt auch wirklich verstehen und bearbeiten können will – und ich lerne jeden Tag dazu. Wenn man auf 20 Synths nur Presets wiederkäut, dann kommt wenig individuelles zustande. Also ist vielleicht das eher der Schlüssel: Reduktion und tiefe Beschäftigung mit wenigen Instrumenten / Effekten.

    Außerdem teile ich den Wunsch nach Sounds mit „Charakter“ – vielleicht ist das auch mit weniger „Perfektion“ gemeint? Geht ein bisserl in die ähnliche Richtung – wenn jeder die gleichen Presets spielt, dann klingt auch alles gleich… Wenn ich mich mit einigen wenigen Instrumenten oder Effekten (da zähle ich Banause die Amps auch gleich mit dazu) wirklich intensiv beschäftige, dann kommt auch eher ein individueller Sound zustande. Ob individueller Sound immer auch gleich Klappern vom Tremolo oder verstimmte Klaviersaiten sein muss, bezweifle ich (auch dieser „Lo-Fi“-Trend reitet sich mal tot). Aber Respekt vor jedem Musiker, der seinen eigenen Sound erzeugt – wie auch immer, ob per Plugin oder mit selbstgelöteten Stompboxen – anstatt nur das gerade Angesagte zu kopieren!

    In diesem Sinne – good vibes!

    Danny sagt:
    0

    Das ist ein generelles Problem der eigenen Lebensgestaltung, Unterpunkt Medien- und Produktkonsum.
    Wir leben wie die Maden im Speck in so vielen Dingen. Hört also auf, immer nur nach neuem zu gieren, vieles wird eh nicht mehr besser, einiges sogar nur verschlimmbessert. Und fangt an, Euch viel intensiver mit dem, was Ihr habt, zu beschäftigen und damit produktiv zu sein. Nur so erzeugt man überhaupt Output. Indem man aufhört, sinnlos zu suchen und einfach mal zu machen. Leben nennt man das :)

    Ist gut für die Psychohygiene, emotionalen Nutzen und obendrein auch für die Umwelt.

    peter sagt:
    0

    Ich sehe das genauso. Ich komme aus dem elektronischen Musikbereich und die Perfektion der Musik, die rein im Rechner entsteht, hat mich immer mehr angeödet. Inzwischen arbeite gar nicht mehr im Rechner. Es ist manchmal nervig, alles immer wieder umzustöpseln, aber es macht viel mehr Spass. Die Songs werden einfach aufgenommen während „live“ geschraubt wird. Ich liebe es. Auch wenn es rauscht, auch wenn es nicht ganz perfekt ist. Oder gerade deswegen.

    Dirk sagt:
    0

    Ich kann dich gut verstehen.

    Es geht dir um die Perfektion, die in Richtung Sterilität umschlägt, weil sie keinen Charakter mehr hat. Zum Charakter gehören eben auch ein paar Ecken und Kanten dazu, denn die machen ihn interessant. Trotzdem muss die Sache einen guten Kern haben, darf also nicht durch und durch schlecht sein. Ich denke das erlebst du mit deinem Jazzmaster: keine schlechte Gitarre aber eben auch keine Perfekte.

    Und dann geht es um die viel zu vielen Möglichkeiten, die einen viel zu viel rumbasteln lassen. Vor allem digital aber auch hunderte von Effektpedalen über die man immer wieder lesen darf. Und wenn man mit einem Tastendruck vom Sound des Fender auf den Dual Rectifier, dann zum Vox und danach zum Plexi wechselt, dann ist das technisch beeindruckend, aber so entsteht kein eigener Charakter und wieder geht etwas verloren.

    Für den tourenden Musiker der davon leben muss sind viele der perfekten, digitalen Lösungen eine unglaubliche Erleichterung. Als Hobby-Gitarrist gönne ich mir die Ruhe und Zeit mit simplen, unperfekten, analogen Equipment Musik zu machen. Ohne Perfektionismus aber mit viel Charakter – und Spaß.

    amos sagt:
    0

    Ich mache Musik jetzt doch schon recht lange alleine, nach 50 Jahren und vielen Bands habe ich im fortgeschrittenen Alter keine Lust mehr auf regelmässigem Übungskeller. Da kommen natürlich Rechner und Teilplaybacks zum Tragen. Bis mein Programm fertig war hat das ewig gedauert und nimmt auch sicherlich nie ein Ende aber mir war immer wichtig mich der Musik mehr zu widmen als der Technik. Klar muss man sich damit befassen aber bei mir sollte es eine Hilfe bleiben und nicht absolut im Vordergrund stehen. Ich trete auch live mit Rechner und Teilplaybacks auf, aber die Instrumente spiele ich schon alle in Echtzeit ein und programmiere da nicht mit Midi und Quantisierung rum. Das hört sich dann gesamt auch mehr nach Live Band und nicht so steril an. Aus Transportgründen nehme ich meist auch keinen Gitarrenamp oder Effekt Treter mehr mit. Ich benutze nun schon recht lange Guitarrig von NI. Ja ich weiss ist auch schon überholt, aber ich habe lange dran gearbeitet gute Sounds aus der Gitarre über meine PA heraus zu holen, und ich habe mir ja auch nicht laufend neue Bodentreter gekauft.
    Kurz und gut es gibt auch klare Vorteile mit dem neuen Zeug, nicht erst ewig mit brummen und rauschen kämpfen gehört schon mal dazu. Und ich verliere mich nicht in ewigem Soundgebastel, ich habe so meine 20 Setups damit komme ich gut durch. TROTZDEM ab und zu treffe ich mich noch mit Bandfreunden oder springe bei Krankheitsfällen ein und dann kommt auch alte Freude mit meiner alten RöhrenTechnik, Bodentreter und Ärgern über brummen auf.

      claudius sagt:
      0

      Das kann ich gut nachvollziehen.
      Interessant, dass du GR live verwendest. Stellst du einfach deinen Laptop auf die Bühne und schaltest per MIDI um? Ich habe das einmal mit Main Stage erlebt in einem kleinen Club und es klang grausam. Das kann auch an Logics Amps liegen. Guitar Rig verwende ich selbst immer wieder, weil ich da schon so lange passende Sounds gefunden habe und ich nicht jedes Bauteil konfigurieren kann. Aber nur am PC zum jammen, den „gleichen“ Sound habe ich auch live mit meinem Rig ohne PC-Technik.

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