Gitarre analog spielen: Ein Experiment
Wie ich sämtliche digitale Technik abschaffte
KI schreibt Songs, Plugins ersetzen Amps und jedes Störgeräusch wird digital vertilgt. Gitarre analog zu spielen erlebt trotzdem eine echte Renaissance — zumindest bei mir. Was nach Retro-Nostalgie klingt, ist in Wahrheit eine Rückbesinnung auf etwas Grundlegendes: auf Klang, auf Körperlichkeit, auf das Unplanbare. Ich bin ganz bewusst abgetaucht in meinen analogen Keller, habe die alten Amps entstaubt und mal wieder reingehört — ein Ritt (und viele Riffs) durch die analoge Gitarrenwelt folgte…
Gitarre analog spielen: Inhalt
Mein Plan war dabei recht einfach: Einmal alles rausschmeißen, was digital und softwaregestützt in den kreativen Prozess eingreift und rein analog arbeiten. Ein kleines Experiment, gewissermaßen. Dabei habe ich schnell festgestellt (feststellen müssen), dass vieles bereits vorhanden war, manches in meinem Setup aber mittlerweile nicht mehr analog abrufbar ist. Gute Gelegenheit, die große Teilekiste, Kleinanzeigen und natürlich Thomann zu bemühen — GAS lässt grüßen. Aber gut, fangen wir da an, wo es sich gehört: Beim Amp.
Das Brummen der Röhrenamps – der Herzschlag der Gitarre analog
Die Ein leises Brummen, das fast wie (irgendwie belegtes) Atmen klingt. Eine orangeglühende Röhre, die den Raum erwärmt: Meinen Faible für Röhrenverstärker kennen die meisten Leser, die sich in den vergangenen Jahren durch meine Kolumnen gelesen haben, bereits. Und ich werde nicht müde, es zu wiederholen — In einer Umgebung, die von Gitarren Plug-ins, Modelern und makellosen Presets dominiert wird, ist das Spielen einer Gitarre analog in den Amp beinahe ein Akt der Rebellion.
Na klar, digitale Systeme versprechen Präzision, Wiederholbarkeit und absolute Kontrolle — das perfekte, sauber laufende System (Software-Bugs ausgenommen). Doch wo keine Reibung ist, entsteht auch keine Wärme. Die Röhren in meinem mittlerweile fast 20 Jahre alten Laney Amp dagegen leben, sie atmen, sie reagieren – zumindest, nachdem ich die Vorstufenröhren gegen ein passendes Set ausgetauscht habe. Da war nichts mehr zu machen.
Und während mein digitaler Plugin-Workflow in der DAW hunderte Sounds auf Abruf hat, kennt der Laney nur einen: den, der gerade passiert.
Technik von gestern — Gitarre analog

Das mich das alte Röhrenteil noch immer so fasziniert, liegt nicht nur an der Nostalgie, sondern auch an der dahinter liegenden Physik: Eine Vorstufenröhre wie die 12AX7 (oder auch ECC83) arbeitet eben nicht linear – sie erzeugt Obertöne, deren Intensität sich abhängig von Temperatur, Spannung und Lautstärke verändert.
Diese harmonischen Verzerrungen, das sogenannte Even-Order Harmonic Distortion, sind der Grund, warum ein übersteuerter Röhrenamp so warm und, weil ich kein besseres Wort habe, natürlich klingt. Ein Plugin kann all das (und noch viel mehr) berechnen – aber ich kann das am anderen Ende nicht fühlen.
Die Gitarre analog über einen Röhrenamp zu spielen ist für mich immer wieder wie nach Hause kommen: Irgendwo zwischen Spannung, Magnetfeld und Widerstand entstehen kleine Unregelmäßigkeiten, die unser Gehör als Charakter interpretiert. Und das ist irgendwie richtig so.
Doch was wäre das analoge Setup, wenn nicht ein bisschen Pedal-Würze mit hinzu käme?
Zwischen Knöpfen und Kabeln – das analoge Pedalboard
Wenn man „analog“ konsequent denkt, muss man natürlich auch die Effektkette anschauen. Also: alles runter vom Board (sogar meine geliebten Bitcrusher Pedale), neu sortieren. Keine digitalen Displays, keine Presets, kein MIDI. Erlaubt sind laut der Experimentvorgaben nur Strom und Patchkabel. Und Geduld.
Ich habe angefangen mit dem, was ich noch hatte: ein altes Boss CE-2, ein originales (!) Ibanez TS9 und mein grandioses MXR Carbon Copy. Alles Geräte, die in keiner Weise modern wirken – aber zumindest noch immer sofort reagieren, sobald Strom fließt. Und geil klingen tut es obendrein. Hehe…
Der entscheidende Punkt beim Zusammenstellen eines anlogen PEdalboards: Analoge Effekte sind keine Speicher, sie sind in Grunde direkte Reaktionen. Der TS9 klingt bei 22 °C anders als bei 28 °C, der Delay-Widerstand fängt bei schwankender Spannung an zu „flattern“. Diese Instabilität, die wir in der digitalen Welt so oft vermeiden wollen, ist in einem analogen Setup das, was das ganze lebendig macht.
Wenn es allerdings zu lebendig wird, kann es anstrengend sein. Stichwort Störgeräusche und Stromversorgung.
Strom, Spannung, Störgeräusche

Wer sich einmal mit Spannungsversorgung beschäftigt hat, weiß: Jedes Netzteil beeinflusst den Sound, der am Ende aus dem Speaker kommt. Die billige Daisy-Chain aus dem Proberaum rauscht wie ein Kühlschrank, das isolierte Cioks DC7, das ich sonst zum Antreiben meines Boards nutze, dagegen bringt Ruhe in die Leitung. Gitarre analog Lösung im Experiment? Klassisch: 9 V Blöcke.
Das Spannende daran ist, dass Strom in einem analogen System nie wirklich neutral ist. Er interagiert mit den Bauteilen, mit der Temperatur, sogar mit der Feuchtigkeit im Raum. Wer glaubt, analoge Signalketten seien komplett „rein“, hat nie mit einem schlecht geerdeten Amp gespielt.
Manchmal brummt’s, weil man den falschen Mehrfachstecker benutzt hat, manchmal, weil der Nachbar seine Waschmaschine startet. Und trotzdem – oder gerade deshalb – ist es faszinierend, wie direkt man diese Einflüsse hört. Zugegeben, meine 9V-Idee ist nicht die nachhaltigste, aber immerhin ist’s analog.
Klangbilder ohne Speicherplatz
Was mir im Verlauf des Experiments klar geworden ist: Wenn man eine Gitarre analog spielt, verändert sich die Zeitwahrnehmung. Kein Undo, kein Recall, kein exakt reproduzierbarer Sound. Wenn ich an einem Abend einen bestimmten Sweet Spot treffe, existiert der genau für diesen Moment – und verschwindet dann wieder. Und ist auch, verdammt noch mal, nicht wieder zu reproduzieren. Warum auch immer.
Ein digitales System würde ihn abspeichern, ihn konservieren, ihn immer und immer wieder duplizieren. Der analoge Amp dagegen zwingt mich, den Sweetspot immer wieder zu erspielen. Das ist anstrengend, ja. Aber es ist auch intensiver und am Ende ist schließlich der Weg das Ziel.
Schön und frustrierend gleichermaßen: Die physikalischen Prozesse sind jedes Mal ein bisschen anders. Die Temperatur der Röhren verändert die Spannung, die Spannung beeinflusst das Clipping, das Clipping verändert die Dynamik. Kein programmierter Algorithmus, sondern eine Kette realer Ursachen.
In diesen Momenten merkt man, dass „Ton finden“ eigentlich immer eine Form von Aushandlung ist – zwischen Technik, Spielweise und Raum. Und natürlich (und vermutlich vorrangig) eine Sache der individuellen Wahrnehmung — subjektives Hören sei als Stichwort in den Raum geworfen.
Analog aufnehmen – Mikro statt Plugin

Bisher bin ich relativ locker durch die analoge Welt gesurft. Spannend wurde es dann aber beim Recording. Kein Interface, kein IR-Loader, keine virtuelle Box. Nur ein Shure SM57 direkt vor die Speaker gestellt. Kein EQ, kein Kompressor (hab kein gescheites Pedal), kein Stereo-Reverb – nur das, was direkt aus dem Amp kommt.
Zuerst war das ernüchternd. Die ersten Takes klangen zu trocken. Der Nachhall an der Kellerwand, das leise Rasseln der Snare-Ketten, das leichte Übersteuern des Preamps – eine ganze Bandbreite an Artefakten hab ich eingefangen.
Ein Plugin hätte mir das glattgebügelt. Als ich die Spuren später in die DAW zog (ich wollte nun wirklich nicht in ein 8-Spur Bandgerät investieren), fehlte dafür aber künstliches Raumgefühl. Der Raum war schon da. Nur eben echt.
Der größte Unterschied zwischen digitalem und analogem Arbeiten nach ein paar Tagen Gitarre analog spielen: Digital geht es um Kontrolle – analog ums Testen. Man muss dem Equipment, der Elektronik und der eigenen Intuition vertrauen. Vor allem aber ein gewisses Maß an Toleranz mitbringen, wenn man einen bestimmten Sound reproduzieren will. Und das verändert den gesamten kreativen Prozess.
Den Amp übersteuern, die Gitarre leicht ausstecken, das Volume-Poti in Zwischenpositionen lassen. Es sind kleine Unfälle, die man nicht plant – aber die genau deshalb klingen.
Gitarre analog spielen: Die Rückkehr des Zufalls
Spannend wurde es, als ich nach einer Woche wieder auf mein digitales Setup umstieg. Alles war da, alles funktionierte, alles klang … korrekt. Und trotzdem fühlte es sich ein wenig wie Schummeln an. Zu viele Presets, zu viele Möglichkeiten. Zu viel Perfektion (außer beim Spielen selbst, versteht sich). Vielleicht ist das genau der Punkt, an dem sich moderne Musikproduktion und das, was man „Spielen“ nennt, am weitesten voneinander entfernt haben.
Am Ende des Experiments steht für mich fest, dass ich einige meiner digitalen Helferlein liebe (und brauche). Die Gitarre analog zu erleben bedeutet trotzdem nicht, dem Fortschritt zu trotzen – sondern die Kontrolle ein Stück weit abzugeben.
Und das Ergebnis? Mehr Gefühl, weniger Perfektion, eine Menge Spaß. Und neu ausgelöstes GAS — Pedalboard mit drei Effekten kann so nicht ausreichend sein. Und ein fetterer Röhrenamp wäre auch nicht schlecht.
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4 Antworten zu “Gitarre analog spielen: Ein Experiment”


Um analog zu spielen, benötigt man keinen Röhrenamp, denn auch Transistoramps sind analog. Gitte in die Combo und losspielen ist der wohl einfachste und meistgenutzte Weg, E-Gitarre zu spielen. Komplett analog.
Ich spiele seit vielen Jahren ausschließlich analog. Mein Equipment besteht aus zwei Fender Princeton Reverb Amps, die Hall und Tremolo liefern. Als Effekte habe ich dazu noch einen TS-9 und ein Deluxe Memory Man sowie ein Chorus von Boss. Für mich sind das ausreichende Möglichkeiten, mein E-Gitarrenspiel zu formen. Hinzu kommen ja noch mehrere hochwertige Gitarren, deren Regler ich ausgiebig nutze. Allein mit dem Volumenpoti und den PU-Einstellungen ergeben sich mannigfaltige Soundvariationen. Brummen und Rauschen gibt es dank guter Röhren, Kabeln und Netzteilen nicht.
Meiner Erfahrung nach muss man sich auch bei einem analogen Röhrenequipment nicht mit Störgeräuschen abfinden.
Zeitaufwand für Programmierung von Modellern etc. fällt komplett weg. Dafür habe ich mehr Zeit fürs Spielen.
Und zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass ich auf diese Weise seit 30 Jahre erfolgreich auf kleinen und mittelgroßen Bühnen erfolgreich als Leadgitarrist einer Rock-, Pop-, Country Coverband spiele. Und ich habe immer noch Freude an meinem Spiel und bin happy mit dem was ich tue.
Ok, ich bin alt. Nicht auf dem Papier, aber bei meinem Setup. Bis auf das Modulationspedal, was ich gerne gegen ein analoges eintauschen würde, ist mein Signalweg analog. Was aber irgendwie normal für mich ist. Sollen Gitarren nicht brummen und laut sein? Diese Energie die die Band im Proberaum oder auf der Bühne antreibt? Das ist irgendwie ganz normal für mich und ein großer Teil meiner Identität als Gitarrist.
Ich habe meinen Yamaha Twenty-Five 112, nachdem er20 Jahre im Kellerstand ausgelagert war,´wiederentdeckt. Klingt mit einer PRS Custom und einemH90-Leslie – fantastisch! Den wollte ich schon verschenken, weil er nur rumstand und ihn keiner haben wollte.