von Andreas Cordes | Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten
Die Frage, ob Vollröhre oder digital, wird auf den Prüfstand gestellt. Ein langer Weg mit überraschender Wendung!

Vollröhre oder digital?  ·  Quelle: Line 6

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Manche Wege sind lang und holprig. Es gibt auch keine schnellere Umleitung oder Abkürzung. Hochgelobte digitale Alternativen zu analogen Verstärkern konnten mich bis heute nur schwer überzeugen. Die Frage, ob Vollröhre oder digital, wurde immer wieder auf den Prüfstand gestellt. Hier ist mein vorläufiges Ergebnis. Wir, die wir Gitarre spielen, haben definitiv das große Privileg, in einer äußerst verwöhnten Epoche zu leben.

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Vollröhre oder digital?

Der Markt ist überschwemmt mit digitalen Amp-Simulationen, „Amp in the Box”, Modeling- und Amp-Capture-Lösungen. Einige Hersteller bieten sämtliche Verstärker und Effekte dieser Erde in einem Gerät, während sich andere auf einen bestimmten Verstärker konzentrieren und diesen bis ins kleinste Detail modellieren.

Ich möchte die verschiedenen Lösungen nicht noch einmal beschreiben oder bewerten, das wurde bereits ausgiebig getan. Vielmehr geht es mir um die persönliche Akzeptanz solcher Lösungen im Alltag von Gitarristen.

Warum tun sich einige von uns so schwer, die digitalen Alternativen mit all ihren unbestreitbaren Vorteilen endlich uneingeschränkt zu akzeptieren? Andere wiederum haben ihren analogen Schätzen mit handverdrahteten Bauteilen und Röhren-Voodoo längst den Rücken gekehrt und sind fast komplett auf die digitale Ebene umgestiegen.

Ein Beispiel ist The Edge von der Band U2, der bei seinen Konzerten im Jahr 2023 im Sphere in Las Vegas ausschließlich UAFX Ruby’63 Pedale benutzte. Zwar fütterte er diese noch mit analogen Pedalen, doch am Ende der Signalkette machten diese digitalen Amp-Emulationen den Sound. Und das, obwohl The Edge die ganze Palette analoger Vintage-Amps besitzt und diese auch immer spielte. Gerade er scheint die Unterschiede in einem solchen Live-Setting nicht mehr zu hören oder zu spüren.

Also, was ist da los? Ich habe mir diese Frage gestellt und mir den UAFX Lion 68 Super Lead bestellt. Ein weiterer Kandidat aus der UAFX-Serie von Universal Audio. Warum mich dieses Pedal zum Schreiben dieses Artikels animierte, erfahrt ihr weiter unten, nachdem ich erklärt habe, was mich an digitalen Lösungen immer gestört hat.

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Universal Audio UAFX Ruby '63
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Amp in a Room bleibt ungeschlagen!

Die physikalische Anwesenheit von Lautsprechern und einem Gehäuse im Raum, die von einem Röhrenverstärker gespeist werden, macht sie zum King im Ring. Warum? Der Weg, den der Schall vom Lautsprecher bis zu unserem Ohr zurücklegt, ist von verschiedenen Faktoren geprägt. Da wäre zum einen der Klang des Raumes, der das Signal positiv, aber auch negativ beeinflussen kann. Bassfrequenzen sind in unserem Körper spürbar und somit physisch. Bei vorausgesetzt neutraler Raumakustik verlieren unangenehme Frequenzen im Idealfall ihre schmerzhafte Wirkung, bevor sie unsere Ohren erreichen. Zudem werden wir dreidimensional vom Gitarrensound umgeben.

Nun komme ich zu meiner persönlichen Erkenntnis, dass mir genau diese beschriebenen Umstände bei den meisten digitalen Amp-Lösungen immer gefehlt haben. Der Sound war auf einmal zu direkt. Die Kontrolle des Gitarrensounds über Monitorspeaker oder In-Ear-Hörer hat mein gewohntes Hörkonzept durchbrochen. Die Spieldynamik war beim Anschlag der Saiten zwar hörbar, aber nie mit der gleichen räumlichen Distanz versehen. Auch ein hinzugefügter Reverb konnte dieses Gefühl für mich nie verändern, sondern führte nur dazu, dass ich mich irgendwie „disconnected“ gefühlt habe.

Die Frage, ob Vollröhre oder digital, wird auf den Prüfstand gestellt. Ein langer Weg mit überraschender Wendung!
Vollröhre oder digital? · Quelle: Universal Audio

Alles eine Frage der Gewohnheit?

Nun könnte man sagen, das ist nur eine Frage der Gewohnheit. Vollröhre oder digital? Wenn man ein bestimmtes Setup lange genug spielt, gewöhnt man sich daran und passt sein Hörempfinden daran an. Das funktioniert natürlich irgendwie. Sicherlich kann man seine Live-Gigs auch mit In-Ear-Monitoring zufriedenstellend absolvieren. Die Vorteile dieser Methode sind nachvollziehbar und unumstritten. Viele professionelle Gitarristen arbeiten seit Jahren mit Kemper, Helix, Neural DSP, Tonex und Co. und haben keinen einzigen echten Verstärker mehr dabei. Und ja, das, was beim FOH ankommt, ist absolut einwandfrei.

Die Frage, ob Vollröhre oder digital, beantwortet sich weniger im Klang, der beim Publikum ankommt, sondern vielmehr im persönlichen Wohlbefinden des Musikers auf der Bühne. Die Interaktion mit einem Vollröhrenverstärker plus Cabinet im Rücken ist eine andere als die Interaktion mit dem, was über den In-Ear-Hörer direkt ans Ohr kommt.

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UAFX Lion 68 Super Lead

Der UAFX Lion 68 Super Lead klingt hervorragend. Soviel vorweg. Nachdem ich das Pedal ausgepackt und an meine Bose S1 Pro angeschlossen hatte, verging ein Vormittag wie im Flug. Der Sound ist irgendwie süchtig machend, inspirierend und vor allem hatte ich hier niemals das Gefühl, nicht echt mit der Ampsimulation verbunden zu sein. Die Interaktion mit dem Volume-Regler meiner Stratocaster und Telecaster war vorbildlich, und die Spieldynamik war authentisch. Die integrierten Speaker-Simulationen klingen ebenfalls fantastisch und tragen technisch gesehen einen großen Teil zu diesem positiven Spielgefühl bei.

Dann ging es zur Probe, bei der ich genau dieses Setup verwendet habe (siehe Foto). Alle Beteiligten und ich waren sehr zufrieden. Der Aufbau dauert nur fünf Minuten und alles passt in einen Rucksack. Ich weiß, dass Vintage-Enthusiasten jetzt mit den Augen rollen. Ich habe mich auch selbst überrascht. Aber meine Akzeptanzschwelle gegenüber digitalen Amp-Lösungen ist kürzlich immens gesunken.

Die Frage, ob Vollröhre oder digital, wird auf den Prüfstand gestellt. Ein langer Weg mit überraschender Wendung!
Vollröhre oder digital? Live-Setup UAFX LION 68 Super Lead · Quelle: A.Cordes / Gearnews
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Schlusswort

Doch was bedeutet das jetzt? Vollröhre oder digital? Soll ich meine Amp-Sammlung verkaufen und komplett auf Digital umsteigen? Die Antwort ist schnell gegeben: Nein!

Kann ich für diverse Proben und auch für Live-Gigs ein digitales Setup in Betracht ziehen? Aber sicher! Bisher hatten digitale Amp-Alternativen bei mir nur beim Recording im Studio eine Rolle gespielt, doch nun sind sie auch in meinem sehr sensiblen Feld der Live-Performances angekommen.

Wie sieht es bei euch aus? Könnt ihr meine Gedankengänge und das lange Zögern teilen oder habt ihr ganz andere Erfahrungen gemacht?

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6 Antworten zu “Vollröhre oder digital? Mein langer Weg zur digitalen Akzeptanz!”

    Sonny sagt:
    1

    Ich verfolge Modeler seit dem roten POD 2.0. Damals ein AHA-Effekt.
    Bin inzwischen angekommen bei Helix und Tonex.
    Aber: ich trenne nach wie vor spielen und aufnehmen. Spielen zu 90% Vollröhrenamps über Box, am liebsten 2×12 oder 4×12, daheim mit Fryette Powerstation. Aufnehmen zu 100% digital, meist über Tonex für den Amp, und Helix oder Software in der DAW für Effekte.

    Marcel sagt:
    1

    Total situationsabhängig. Zuhause spiele ich über meine Vollröhren Amps. Abends wenn die Kinder schlafen über TONEX mit Kopfhörern.

    Im Proberaum geht sowieso alles über In-Ear und da wäre ich ja schön blöd den Tanz mit Mikroabnahme und co. mitzumachen. Dort steht also ein Headrush Prime, was in Sound, Bedienung, Flexibilität genau das liefert, was ich für die Partyband benötige. Experimente mit „echten“ Amps sind da bisher immer nach hinten losgegangen. Ich versuchs gar nicht mehr. Und auch live ist das Prime ein Segen, nahezu immer derselbe Sound, in 2 Minuten aufgebaut.

    Ich bin außerdem der festen Überzeugung, dass 95% aller Gitarristen und 99,99% aller „normalen Menschen“ ;-) den Unterschied zwischen einem TONEX JCM 800 Profile über eine PA nicht von einem echten abgenommenen JCM 800 über eine PA feststellen könnte.

    Lars sagt:
    2

    Danke für deinen Beitrag. Er spricht mir aus der Seele.

    Ich mag mich nicht trennen von meinen „Röhren“ und die Helix dieser Welt geben sich Mühe einen mit gutem Sound zu versorgen. Auch wenn sie sich manchmal mit Funktionen überfrachten.

    Die Frage die sich für mich stellt sind nachfolgenden Gitarristen überhaupt der Röhre offen gegenüber? Sie kennen es doch nicht wirklich anders.

    Ich bekomme auf Insta Infos vom Chuck von underdog, klingt spannend das schaue ich mir mal an.

    Glücklicherweise leben wir in der Welt in der so viel, machmal zu viel Auswahl herrscht. So kann jeder glücklich werden.

    Hans-Peter Endruschat sagt:
    2

    Ich bin fast siebzig und habe mich seit eh und je über die „Vintage“ Fraktion in der Rockmusik gewundert.
    Diese Schlepperei, ewig Scheissröhren schonen (Kälte, Hitze) , wichtiges Gerede von Bias, Sättigung und weiteren Gelaber.
    Und bei den meisten Vintage Fanatikern kam aus der Gitarre dann auch nur mittelmäßiger Kram trotz ewiger Gearwechsel zumindest hab ich noch nie erlebt daß schlechte Mucke durch den Wechsel des Röhrenverstärkers besser geworden ist.
    Das ist Tüdelkram.
    Ich bin in so gut wie allen Musikrichtungen Zuhause und hab mich früh für Transitortechnik und Digitales interessiert und entschieden.
    Leicht, verlässlich und die Mucke auf die es ankommt wird dadurch nicht schlechter.
    Ich bin immer für die Zukunft.
    Gestrigkeit kann ich weder allgemein noch musikalisch verstehen.

    Leisegold sagt:
    1

    Was hindert mich daran, auf die Bühne einen aktiven GitarrenLautsprecher mit sagen wir mal 100 Transistor Watt, mit einem Modeller zu füttern ? Der Amp passt in eine Zigarettenschachtel, das ganze wiegt fast gar nichts und ich hab alle Flexibilität der Welt.

    Mike sagt:
    1

    Es gibt da einen Aspekt der Digitaltechnik, der hier nicht erwähnt wird. Aber m.E. nachhaltig die Akzeptanz beeinflusst hat: die Latenz. Analoges Gear hat keine. Ich bin seit Korgs GT-6 in der Digitalwelt, besonders live, weil ich mit einem Tritt komplexe Effektsettings abrufen kann und so eine Art gitarrenbewaffneter verkappter Keyboarder bin. Aber bei Aufnahmen in einer DAW zeigt sich, dass meine Gitarre regelhaft 20 ms hintendran war, und das ist mit 2facher Wandlung und Signalbearbeitung ein realistischer Latenzwert.
    Wird inzwischen besser, schnellere Prozessoren und so, aber trotzdem immer vorhanden.

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