von Jan Rotring | Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten
Nitro oder Poly - Mehr als nur eine Frage der Optik?

Nitro oder Poly - Mehr als nur eine Frage der Optik?  ·  Quelle: Ana Rocio Garcia Franco / Alamy Stock Foto

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Die Wahl des Gitarrenlackes ist nicht bloß eine Frage der Ästhetik. Sie kann tatsächlich das Spielgefühl und den Klang deiner Gitarre beeinflussen. Im Folgenden wollen wir diesen Diskussions-Dauerbrenner unter Gitarristen zum Anlass nehmen, uns näher mit dem Thema Nitro vs. Poly zu befassen. Es ist schließlich nicht alles Gold, was glänzt …

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Persönliche Vorlieben und der „Vintage“-Reiz:

Unsere Emotionen und Vorlieben sind oft der Schlüssel zur Wahl des perfekten Instruments. Das nostalgische Gefühl, das eine alte Vinyl-Platte hervorruft, kann auch der Vintage-Charme von Nitro in uns wecken – der Autor dieses Textes fühlt sich an dieser Stelle zumindest aktiv angesprochen.

Während Nitro mit seinem sanften Altern und seinem besonderen Spielgefühl punktet, wartet Poly mit einer unerreichten Alterungsresistenz auf. Doch zum Gefühl später mehr, tauchen wir nun lieber tiefer in die greifbaren Hintergründe von Poly- und Nitrolacken ein.

Nitro oder Poly: Historische und technische Perspektiven

In den Anfangstagen der E-Gitarrenherstellung war Nitrocellulose, besser bekannt als Nitro, der dominierende Lack. Er wurde aufgrund seiner schnellen Trocknungszeit und der Fähigkeit, eine sehr dünne, aber schützende Schicht zu bilden, geschätzt. Ursprünglich in der Automobilindustrie verwendet, fand der Nitrolack schnell seinen Weg in die Instrumentenherstellung und löste dort die althergebrachten Konservierungsmethoden wie Schellack und Co. ab. Heute werden besonders Gitarren der „alten“ Hersteller noch immer in Nitro angeboten, allen voran setzt vor allem Gibson bei den allermeisten Instrumenten auf Nitrolack.

In den 1970er-Jahren machte sich jedoch ein Wechsel bemerkbar. Mit dem Aufkommen von Massenproduktion und der Notwendigkeit, Gitarren schneller und kosteneffizienter zu produzieren, wurde Polyurethan, kurz Poly, immer beliebter. Es bot eine härtere, beständigere Oberfläche, war weniger anfällig für Risse und Absplitterungen. Außerdem waren die weniger strengen Sicherheitsbestimmungen beim Umgang mit Poly vs. Nitro sicherlich ein Faktor, um die Produktionskosten niedrig zu halten. Daher finden sich besonders in den günstigeren Serien auch althergebrachter Hersteller wie Fender viele Instrumente, die auf Polylack setzen.

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Technische Details: Die Herstellung von Nitro und Poly

Nitro wird durch die Auflösung von Zellulose in flüchtigen organischen Verbindungen hergestellt. Es trocknet durch Verdunstung dieser Lösungsmittel, was zu einer harten, aber dünnen Schicht führt. Nitrolack ist dabei in der Lage, sich selbst zu lösen – Lackfehler lassen sich einfach ausbessern, da jede neue Schicht die darunter liegende Nitroschicht leicht anlöst.

Polyurethan hingegen ist ein Polymer, das durch eine chemische Reaktion zwischen Alkoholen mit zwei oder mehr reaktiven Hydroxylgruppen pro Molekül und Isocyanaten entsteht. Es bildet eine dichtere, robustere Schicht, die besser gegen Umwelteinflüsse geschützt ist. Chemie-Unterricht verschlafen? Macht nichts – wir kommen gleich zu handfesteren (Streit-) Themen. Stichwort „Feeling“.

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Doch wie beeinflussen diese Lacke den Klang und das Spielgefühl einer Gitarre? Im nächsten Abschnitt werden wir uns genau damit beschäftigen. Jetzt wird’s mit Blick auf den schwelenden Konflikt langsam spannender.

Resonanz und die Rolle von Gitarrenlack

Klassische Nitro-Lackierung: Gibson Les Paul

Klassische Nitro-Lackierung: Gibson Les Paul

Resonanz ist ein Schlüsselelement im Klang einer Gitarre. Wenn die Saiten einer Gitarre schwingen, übertragen sie diese Schwingungen auf das Holz des Instruments. Das Holz vibriert dann und erzeugt den Klang, den wir hören. Ein Lack, der das Holz bedeckt, kann diese Vibrationen und damit die Resonanz beeinflussen.

Nitrocellulose, mit seiner dünneren und atmungsaktiveren Beschaffenheit, lässt das Holz mehr schwingen. Dies kann zu einem offeneren und resonanteren Klang führen, der oft als „warm“ oder „vintage“ beschrieben wird. Da Nitro im Laufe der Zeit altert und dünner wird, kann sich dieser offene Klang im Laufe der Jahre weiter entwickeln und verstärken.

Polyurethan hingegen bildet eine dichtere und festere Schicht Gitarrenlack auf dem Holz. Dies kann die Vibrationen des Holzes stärker dämpfen, was zu einem präziseren und möglicherweise weniger resonanten Klang führt. Da Polyurethan weniger anfällig für Alterung ist, bleibt dieser Klangcharakter über die Jahre hinweg konstanter.

Es ist wichtig zu betonen, dass weder Nitro noch Poly als „besser“ oder „schlechter“ angesehen werden sollten. Beide Lacke haben ihre eigenen einzigartigen Eigenschaften, die je nach den Vorlieben des Gitarristen und dem gewünschten Klangcharakter Vorteile bieten können. Während der eine die Alterung des Instruments mit der Benutzung schätzt, möchte die andere die Schönheit ihres PRS 10 Top Finish möglichst über viele Jahre genießen.

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Haptik: Das Gefühl von Nitro unter den Fingern

Neben dem Klang spielt schließlich auch die Haptik eine entscheidende Rolle bei der Wahl des richtigen Gitarrenlacks. Schließlich ist das Gefühl, das ein Instrument vermittelt, ein wesentlicher Bestandteil des Musikerlebnisses.

Nitrocellulose hat eine weichere und glattere Oberfläche, die oft als „natürlicher“ wahrgenommen wird. Es neigt dazu, sich mit der Zeit abzunutzen, besonders an Stellen, an denen der Spieler die Gitarre häufig berührt. Dies kann zu einem angenehm abgenutzten Gefühl führen, das von vielen als „eingespielt“ beschrieben wird.

Polyurethan hingegen bietet eine härtere und glänzendere Oberfläche. Der Gitarrenlack ist widerstandsfähiger gegen Kratzer und Abnutzung, was es besonders langlebig macht. Einige Gitarristen schätzen diese unbedingte Beständigkeit, während andere finden, dass Poly-Lacke sich „künstlich“ oder „plastikartig“ anfühlt.

Letztlich hängt die Vorliebe für einen bestimmten Lacktyp von den individuellen Vorlieben des Gitarristen ab. Während einige das Vintage-Gefühl von Nitro lieben, schätzen andere die Robustheit und Konsistenz von Poly. Und da wir als Musiker alle streitbar sind, kommt es konsequenterweise seit Jahrzehnten zur großen Kontroverse.

Die Kontroverse: Nitro oder Poly

Modern und langlebig: Polyurethan-Finish

Modern und langlebig: Polyurethan-Finish

In unserer gitarrenzentrierten Welt gibt es kaum ein Thema, das so heiß diskutiert wird, wie die Wahl des richtigen, besten, hochwertigsten Lackes. Während einige Gitarristen auf die Authentizität und den Vintage-Charme von Nitro schwören, verteidigen andere die Beständigkeit und Praktikabilität von Polyurethan Gitarrenlack.

Ein Hauptargument der Nitro-Befürworter ist der Klang. Sie argumentieren, dass Nitro, aufgrund seiner dünneren und atmungsaktiveren Beschaffenheit, dem Holz erlaubt, freier zu schwingen, was zu einem wärmeren und offeneren Klang führt.

Auch wenn ich mich nun vielleicht oute – ich halte das für ein vorgeschobenes Argument, das darauf abzielt, kaum zu beschreibende Aspekte als Fakten darzustellen. Wichtiger in meinen Augen (und Ohren): Das Gefühl. Viele lieben die natürliche, weiche Haptik von Nitro und das charakteristische Altern, das dem Instrument im Laufe der Zeit eine einzigartige Patina verleiht und so schon über den Gitarrenlack eine Geschichte erzählen kann.

Auf der anderen Seite der Diskussion Nitro oder Poly stehen die Befürworter von Polyurethan-Lacken. Sie betonen die Langlebigkeit und Beständigkeit dieses Lackes. Polyurethan ist weniger anfällig für Kratzer, Dellen und Risse, was es ideal für tourende Musiker oder diejenigen macht, die ihre Gitarre in einwandfreiem Zustand halten wollen. Zudem argumentieren sie, dass moderne Fertigungstechniken den Unterschied im Klang zwischen Nitro und Poly minimiert haben.

Und so füllen sich die Foren mit mehr oder weniger stichhaltigen Argumenten für oder gegen diesen oder jeden Gitarrenlack. Ganz zur Freude der Hersteller, versteht sich. Denn auch heute hat sich niemand wirklich festgelegt. Zwar wird ein Großteil der Instrumente heute in Poly lackiert, doch auch Nitro-Lack hat einen Marktanteil.

Instrumente und Hersteller zwischen Nitro und Poly

Die Wahl zwischen Nitrolack und Polyurethan hat nicht nur Gitarristen, sondern auch renommierte Gitarrenhersteller beeinflusst. Einige der bekanntesten Marken in der Musikindustrie gehen dabei eigne Wege, wenn es um die Lackierung ihrer Instrumente geht. Ein kurzer Blick auf den Markt:

Nitrocellulose (Nitro):

  • Fender: Insbesondere in ihren Vintage- und Custom-Shop-Modellen verwendet Fender Nitrolack. Die American Vintage Serie oder die ’57 und ’62 Stratocaster Reissues sind Beispiele für Gitarren, die mit Nitro lackiert sind.
  • Gibson: Gibson ist bekannt für die Verwendung von Nitro auf vielen ihrer Modelle, insbesondere auf den Les Pauls und SGs. Der Nitro-Lack verleiht diesen Gitarren ihren charakteristischen Glanz und das Vintage-Feeling, auch bei neuen Modellreihen: Gibson 70s Flying V und Explorer: Antique Natural mit Siebziger-Vibes
  • Martin: Auch Martin, bekannt für ihre Akustikgitarren, verwendet Nitro für viele ihrer hochwertigen Modelle.
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Polyurethan (Poly) Gitarrenlack:

  • Ibanez: Viele der modernen E-Gitarren von Ibanez, bekannt für ihre gute, moderne Bespielbar- und Haltbarkeit, sind mit Polyurethan lackiert.
  • Fender, Part II: Während Fender für einige ihrer Vintage-Modelle Nitrolacke verwendet, sind viele Instrumente für den modernen Spieler, wie die American Professional II Serie, mit Poly-Lacken gefinisht. Mehr dazu findet ihr hier: Fender American Professional II: Der neue Standard für alle?
  • PRS (Paul Reed Smith): PRS ist bekannt für die makellosen Finishes und verwendet Polyurethan, um die Gitarren vor den Elementen zu schützen und ihnen einen dauerhaften Glanz zu verleihen.
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Es ist interessant zu sehen, wie sich verschiedene Hersteller für unterschiedliche Lacke entscheiden. Wichtiger als der Sound scheint jedoch stets die Ästhetik oder der praktische Einsatznutzen des Instrumentes zu sein. Interessant …

Fazit: Die Magie von Nitro

Feine Alterung bei dünnen Nitrolackierungen

Feine Alterung bei dünnen Nitrolackierungen

Es mag nur wenig verwundern, wenn ich zugebe, dass ich auf Vintage-Kram stehe – habe ich ja auch hier schon geschrieben: Faszination Röhrenamp: Warum wir nicht vom Analogen lassen können.

Wenn es dann um Gitarrenlack geht, hat Nitro für mich einen ganz besonderen Platz. Es ist aber eben nicht der Klang, der Nitro so besonders macht, sondern das unvergleichliche Gefühl, die atemberaubende Optik und das Wissen, dass dieses Instrument an meiner Seite altern wird.

Jedes Mal, wenn ich eine Nitro-lackierte Gitarre in die Hand nehme, spüre ich eine Verbindung, die schwer in Worte zu fassen ist. Es ist, als ob das Instrument lebt und atmet. Die weiche und natürliche Haptik von Nitro ist einfach unvergleichlich und vermittelt das Gefühl, als ob die Gitarre ein verlängerter Teil von mir selbst wäre.

Optisch hat Nitro eine Tiefe und einen Glanz, der einfach zeitlos ist. Es fängt das Licht auf eine Weise ein, die andere Lacke nicht erreichen können. Und dann gibt es da noch die Patina, die sich mit der Zeit im Gitarrenlack entwickelt. Jeder Kratzer, jede Delle erzählt eine Geschichte. Es ist, als ob die Gitarre und ich gemeinsam durchs Leben gehen, und mit jedem Abenteuer, das wir zusammen erleben, bekommt sie mehr Charakter.

Und ja, während Polyurethan seine eigenen Stärken hat und zweifellos seine Vorteile in Sachen Beständigkeit und Schutz bietet, ist es die emotionale Verbindung zu Nitro, die für mich den Unterschied ausmacht. Es geht nicht darum, welcher Lack „besser“ ist, sondern darum, welcher Lack eine Geschichte erzählt, die ich mit jedem Akkord, den ich spiele, weitererzählen möchte.

Für mich ist Nitro nicht nur ein Lack. Es ist ein Gefühl, eine Erfahrung und ein lebenslanger Begleiter. Und für all die audiophilen Gitarristen mit Platinohren da draußen: Ich spiele hauptsächlich verzerrte Rhythmus-Gitarre mit aktiven Pickups. Und da hört wirklich jemand den Lack durch?

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Bildquellen:
  • Klassische Nitro-Lackierung: Gibson Les Paul: Nicholas Stubbs / Alamy Stock Foto
  • Modern und langlebig: Polyurethan-Finish: George Dolgikh / Alamy Stock Foto
  • Feine Alterung bei dünnen Nitrolackierungen: Karol Adamaszek / Alamy Stock Foto
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